Piazza virtuale : SERVICE AREA a.i.[start] [inhalt] [literatur]
"Service Area a.i. ist die Installation einer virtuellen telematischen Welt, die vielen Teilnehmern von Zuhause aus mit Hilfe des Computers einen multimedialen Zugang ermöglicht. Service Area a.i. ist ein virtueller Ort, ein Raum im elektronischen Netz. Raum bedeutet hier auch Spielraum, in dem sich der Mensch entfalten kann.Der Zugang zur Service Area a.i. setzt lediglich eine Standardausrüstung in Form eines PC's und eines Modems voraus, alternativ ist auch ein Zugang über das Internet möglich. "
--Ponton 1994 (http://www.ponton.uni-hannover.de/archive/archive_area.html)
Das Projekt Piazza virtuale : SERVICE AREA a.i. öffnete im Juni 1994 auf der Ars Electronica in Linz, wurde eine Woche auf 3Sat gesendet, und war danach per Modem und Inernet Verbindung bis Mai 1996 erreichbar. Zur Zeit arbeiten wir bei Ponton an der Fortsetzung des Projektes unter dem Namen Local-Loop.
Wie Piazza virtuale ist auch Service Area ein offener Kommunikationsraum im elektronischen Medium, also ein Ort im Cyberspace, ein Drahtrahmengarten. Auch hier ist das Ziel, Erfahrungen mit Kommunikation durch das Angebot eines Raumes mit erhöhter Kommunikationswahrscheinlichkeit zu sammeln. Der entscheidende technische Unterschied zur Piazza virtuale ist der vollständige Transfer der Kommunikation in eine simulierte und virtuell begehbare grafische und tonale Zeichenwelt, die unabhängig von den Fernsehsendungen funktioniert, und immer erreichbar ist.
Die Besucher der Service Area kommunizieren nicht mehr über ein öffentliches Medium, sondern untereinander und wann sie wollen. Qualitativ bedeutet dies die Möglichkeit sich intimer zu unterhalten und einem entspannteren Die Fernsehsendungen während der Ars Electronica erfüllten die Funktion eines Fensters in die virtuelle Welt, einer Live Berichterstattung, in der sich die Vorgänge im virtuellen Raum in den öffentlichen Raum über das Fernsehen abbilden, und von einem Poeten interpretiert und dem Fernsehpublikum vermittelt werden. Die in Linz aufgebaute Service Area Installation (Reality Stage), war ein öffentlicher Einstiegspunkt in den virtuellen Raum, der von jedem betreten werden kann, ähnlich gedacht wie die Entrypoints auf der Piazza virtuale. Über Stereo-Videoprojektionen kann der Besucher das Bild aus der Service Area sehen, und per Mikrophon mit den per Telefon und Computer angeschlossenen Benutzern kommunizieren.
An Service Area hat ein Team von ca. 20 Leuten gearbeitet. Meine Mitarbeit konzentrierte sich auf die Entwicklung und Umsetzung eines gestalterischen Konzeptes zur Visualisierung der Kommunikation, der Benutzer und des Weltmodells.
Weltmodell
"A virtual reality system is a support system for interaction and navigation in a 3D workspace. A user perceives the environment as a ''world'' - he is given a location and a ''presence'' in the 3D environment and can interact with objects and other users present in the same environment."--sics
Um an Service Area mitzuwirken, können sich Benutzer entweder per Telefon in eine virtuelle Audiolandschaft einwählen, oder per Computer, Modem/Internet und der Service Area Software in einem virtuellen Raum navigieren. Die "Service Area Welt" besteht aus einer Anzahl sogenannter Foren. Diese Foren sind als Anregungen zur Kommunikation
gedacht, und haben dementsprechend allgemein gehaltene Bezeichnungen (Sport, Liebe, Gesundheit, ...). Gleichzeitig dienen die Foren als Fixpunkte im Raum oder Orientierungshilfen.
Service Area bedient sich einer Raummetapher zur Visualisierung der Präsenz der Besucher und ihrer Kommunikation. Ob der Benutzer jemanden hören (hören meint hier auch das lesen des von anderen geschriebenen Texts) oder sehen kann, hängt in erster Linie von der Entfernung ab, in der er sich im Verhältnis zu einem Anderen befindet.
Jeder Benutzer kann in der Welt Objekte hinterlassen, sogenannte Container, in denen er Texte, Bilder, Töne und Filme unterbringen kann. Diese Objekte verbleiben in der Welt und können von anderen Benutzern gelesen werden. Die Container haben entsprechend ihres Inhaltes verschiedene Icons:
Quadrate: Text
Hexagone: Musik
Pentagone: Töne
Rahmen: Bilder
Dreieck: Malereien.
Zugang
Service Area unterstützt die Kommunikationsmedien Ton, Bild, Video, Text und Musik.
Der Zugang zum System erfolgte über 32 Telefonleitungen und 2 PMX (Primär MultipleX)-Anschlüsse a 30 Telefonnummern in Hannover. Es gibt also 60 Telefon- und 32 Modemleitungen. Zusätzlich eine dynamische Anzahl von Internet Nutzern, die bis auf ca. 20 getestet wurde.
Die maximale Anzahl gleichzeitig im System befindlicher Benutzer ist ca. 100.
Das Sendebild
Im Unterschied zur Piazza virtuale, deren Informationstransport vom gesendeten Fernsehbild abhängig war, bekommt jeder Benutzer der ServiceArea sein eigenes, subjektiv steuerbares Bild der Welt über die von ihm benutzte Kommunikationsverbindung geschickt. Die ServiceArea-Software, die dazu installiert sein muss, interpretiert die empfangenen Daten und setzt daraus das Bild zusammen, das sich dann auf dem Schirm seines Computers abbildet. Dieses Bild enthält zusätzlich ein Bedienfeld, das die Benutzung der einzelnen Kommuniaktionsmedien ermöglicht, sowie ein Navigationstool.
Abbildung des Teilnehmers in der Service Area
Jeder Besucher dieser Welt hat seinen eigenen subjektiven Blick in die Welt von Service Area. Er kann sich frei bewegen, d.h. er steuert seinen Blick durch die Welt mit Hilfe seiner Computertastatur oder seiner Maus. Er hat eine Abbildung seiner selbst, die für andere sichtbar ist. Das UserIcon ist eine dreidimensionale Form, in Service Area limitiert auf 40 Eckpunkte, 100 Dreiecksflächen und 150 Kanten in beliebiger Anordnung. Jeder kann sich, sofern er die Technik dazu beherrscht, diese Form selber modellieren. Unter dem UserIcon schwebt der Name des Benutzers, den sich jeder selber geben kann. ( Siehe dazu im Anhang : Wie baue ich mir eine Form ?)
Grundsätzlich bilden sich alle Kommuniaktionsmedien über dem UserIcon ab. Das Basis - Kommunikationsmedium in ServiceArea ist der Austausch von Text, der Chat. Dieser bildet sich, genau wie Zeichnung oder Videobilder, als frei transparent im Raum stehende Fläche ab. Es ist zusätzlich möglich auch gesprochene Sprache zu anderen zu übertragen, die Qualität und Dauer hängt allerdings stark von der Netzwerkbelastung und der Anzahl der angeschlossenen Benutzer ab.
Es gibt zusätzlich den Versuch, Leute einzubinden, die keinen Computer zur Navigation in der Zeichenwelt von ServiceArea besitzen, und somit auf das Telefon angewiesen sind. Für diese Leute stellt ServiceArea eine rein tonale Welt zur Verfügung, die sogenannte VoiceBox. Sie stellt parallel zur grafischen Welt einen erhörbaren Raum dar, dessen Architektur identisch mit der Architektur der grafischen Welt ist. Auch hier wird die Bewegung im Raum per Telefontastatur gesteuert. Die Kommunikation der Telefonanrufer mit den Modembenutzern wurde bisher jedoch nur in Ansätzen realisiert, die Anwesenheit und Bewegung der VoiceBox-Benutzer bildet sich jedoch in der grafischen Welt ab. Interessanterweise existiert die VoiceBox immer noch und wird inzwischen unabhängig von Ponton von den Benutzern selbstverantwortlich weiterbetrieben. Sie erfreut sich konstanter Beliebtheit und hat im Moment ca. 700 regelmässige Besucher.
Netzwerk
Ethernet auf Coax-Kabeln dient als Grundlage für das LAN (LocalAreaNetwork) in Hannover. Es wurde von Hannover nach Linz über 4 parallele ISDN Leitungen (384 kbit/sec) weitergerouted. Es gab also 2 Ethernet Ringe, einen in Hannover und einen in Linz, die per ISDN miteinander verbunden wurden. Daruaf lief ein selbstentwickeltes Message-protocol, das per TCP/IP übertragen wurde. Das Protokoll überträgt alle Daten innerhalb des Systems.
Software
2 Parallel arbeitende 60Mhz Pentiums mit je 16 Modems verwalten die eingehenden Daten der per Computer und Modem verbundenen Benutzer und erzeugen so die notwendigen Daten zur Abbildung der Welt. 2 weiter parallele 90Mhz Pentium Computer mit AudioTex-Karten erzeugen aus den Bewegungen und Unterhaltungen der per Telefon angeschlossenen Benutzer die notwendigen Daten zur Abbildung der Telefon-Anrufer in der Welt. Eine Sybase SQL-Datenbank speichert die von den Benutzern erzeugten Daten und die Benutzerform, und meldet deren Existenz, Inhalt und Position an das "ModemHeadend", das diese Informationen wiederum an die Benutzer zurückmeldet. "Das ServiceArea Frontend" ist eine Software für MS-DOS auf PCs mit mindestens einem 40Mhz schnellem 486 mit FPU und 4 mb RAM. Zusätzlich ist ein Modem oder Internet Zugang und ein TCP/IP Client für MS-DOS erforderlich. Diese Software stellt per TCP/IP die Verbindung des Benutzers mit dem ServiceArea System her und bildet für den Benutzer auf seinem Monitor sichtbar den 3D Raum, die anderen Benutzer und deren Kommunikation ab. Gleichzeitig sendet sie die äussere Form, die Positions- und Kommunikationsdaten des Benutzers für die anderen sichtbar ins System. Die Software überträgt Text, Vektorgrafik und Midi Daten. Sie erlaubt zusätzlich den Anschluss eines AVIS-Videodigitalisierers zur Übertragung von Videobildern, sowie die Übertragung von Ton mit Hilfe einer SoundBlaster Karte.
STOPF - Simple Transmission of Program Files
Die einzige Aufgabe von STOPF ist die Übertragung des Service Area Frontends an Benutzer über eine Modemverbindung. Nach einer erfolgreichen Verbindung des STOPF-Modems mit seinem Gegenüber, beginnt STOPF ungefragt mit der Übertragung der Datei. Bemerkenswert ist die Effektivität und Geschwindigkeit mit der wir mit Hilfe von STOPF in kurzer Zeit eine grosse Anzahl der Frontend Software unter die Leute brachten. In nur 24 Stunden waren bereits 300 Kopien unterwegs, obwohl STOPF nur auf einem Rechner mit einem Modem lief. STOPF trägt seinen Namen zu Recht.
Beobachtungen Service Area a.i. :
ServiceArea bietet grundsätzlich alles , was ein Drahtrahmengarten bieten muss. Das zentrale Problem der ServiceArea war Geschwindigkeit. Ausreichend schnelle Computer waren Mitte 1994 noch sehr selten, und so erreichte Service Area ein ziemlich kleines Publikum. Die Interaktion mit einer Software ist im Kern davon abhängig, dass auf eine Benutzer-Aktion eine Gegenreaktion der Software erfolgt, und zwar so schnell wie möglich, (<=0.2 sek.) damit der Zusammenhang zwischen Aktion und Reaktion nachvollzogen werden kann. Unglücklicherweise erwies sich dieser Wert, der in dem Schema "Performance" mit dem Erfahrungswert 10 Bildern Pro Sekunde beziffert wird, in ServiceArea als Schallmauer, die nur sehr selten durchbrochen werden konnte.
"Noise : How does noise effect information ? Information is, we must steadily remember, a measure of ones freedom of choice in selecting a message. The greater the information, the greater is the uncertainty that the message actually selected is some particular one. Thus greater freedom of choice, greater uncertainty, greater information go hand in hand. If noise is introduced, then the received message contains certain distortions, certain errors, certain extraneous material, that would certainly lead one to say that the received message exhibits, because of the effects of noise, an increased uncertainty. But if the uncertainty is increased, the information is increased, and this sounds as though the noise were benefical."
--Claude Shannon and Warren Weaver, The Mathematical Theory of Communication, 1948.[7]
Man kann auch die unerwünschten Wartezeiten, die RUCKHAFTE Navigation und die verzögerten Antworten in ServiceArea als NOISE bezeichnen. Man kann sich auch auf den Standpunkt stellen, dass diese Störungen ja etwas Interessantes sind, da sie eine neue Situation im Umgang mit dem System generieren. Na das ist ja toll. Schau mal, jetzt kann ich mich ja gar nicht mehr bewegen !, etwa so, wie ein durch eingestreutes Rauschen verzerrtes Telefonat eine Eigenständige akustische Schönheit haben kann. Die Beurteilung dieser Theorie kann man jedoch getrost dem Geschmack des Einzelnen überlassen. Grundsätzlich wird die Navigation in einem dreidimensionalen Raum durch ruckhaften Bildaufbau extrem erschwert.
Postulat Vier :: 3D - Programmierung ist wie Badminton bei Wind
Trotzdem entstanden in der ServiceArea eine Menge sehr kreativer und befriedigender Momente, in denen sich der visuelle Purismus als Stimulanz für den Gestaltungswillen der Besucher heraustellte, und der Wille zum Gespräch über die mangelhafte Performance siegte. Dazu Wayne auf die Frage nach dem seiner Meinung nach wichtigsten Detail eines Kommunikationssystems : "i think the user groups, the crowd, is the most important thing. why are people there? what are they there for? are they there for 10 minutes or have they been there everday? how did they find it? all these factors determine the users and are essential to making a place interesting. an empty vrml room, no matter how nice, is not as fun as a telnet chat room with lots of people." Diese Aussage zielt wiederum direkt auf die Auseinandersetzung um das DESIGN einer virtuellen Welt, das PLAYING GOD-Phänomen[13]. Viele Systeme zielen ganz offensichtlich auf Einschaltquoten. Je mehr regelmässige Besucher sie haben, desto erfolgreicher ist die Software, und die Kaufmannsseele lächelt. Aus der Sicht der Besucher jedoch ist die Qualität der Unterhaltung und die Gesprächs-Motivation der anderen Besucher wesentlich wichtiger als eine perfekt durchdesignte Welt. Unzweifelhaft haben Design und Kommunikationswahrscheinlichkeit viel miteinander zu tun. Design ist nicht nur Form und Farbe in diesem Kontext. Design ist auch das Konzept, die Software-Architektur, die Wahl der Kommunikationskanäle. Hier bräuchte man vielleicht auch ein anderes Wort, denn Design heisst Produktgestaltung unter Berücksichtigung der Funktion eines Objektes. Hier gemeint ist jedoch vielmehr Prozessgestaltung, Weltidee und Modellierung einer Situation, das Schaffen einer Atmosphäre. Der Weltdesigner ist eben Gärtner und nicht Gott . Diese Rolle ist eher zurückhaltend und fördernd als deterministisch. Der Gestaltungsprozess kann niemals abgeschlossen sein, wenn die Grundidee eines Systems dynamisch ist. Es wird dann ein Prozess installiert, der offen für evolutionäre Veränderungen ist. Gott haucht und geht.